REAL CASES - spannend, kurios, lustig und manchmal unglaublich, aber wahr!
Eiskalter Mörder und lauwarme Frauenleiche
SYNDIKATS-Mitglied erwischt einen Mörder „auf frischer Tat“
In meinen Real Case Folgen Nr. 15-18 nannte ich die Heroindealerin JENNY „eiskalte Mörderin auf Raten“ und erinnerte mich beim Schreiben dieser Artikel auch an die Festnahme des Mörders, der wenige Minuten vor meinem Eintreffen eine Frau in ihrer Wohnung erwürgt hatte.
Die Story mag auf den ersten Blick unglaublich erscheinen. Hätten Sebastian Fitzek, Arno Strobel oder Andreas Gruber diese Situation in einem ihrer Thriller geschildert, würde man den Syndikatskollegen eine rege Fantasie unterstellen. Dabei können sich „Normalbürger“ (und selbst manche Syndies) nicht vorstellen, was wirklich im Polizeialltag „zwischen Himmel und Erde“ (ausnahmsweise nicht das rheinland-pfälzische Spezialgericht gemeint) geschieht, denn was in der Realität geschieht, ist oft unglaublich und übertrifft die blühendsten Autoren-Fantasien (wobei ich selbstverständlich Autorinnen miteinschließe, deren Fantasien manchmal noch „grausamer“ sind). Ich habe in meinem Vortrag „Kluftinger und Eberhofer würden staunen“ auf der CRIMINALE in Darmstadt unglaubliche Einsätze beschrieben, aber dieser real case ist einer meiner herausragendsten Fälle aus der aktiven Dienstzeit.
Ein eiskalter Mörder, eine noch warme Frauenleiche und ein junger mutiger Polizeimeister
Ich war nach erfolgreichem Abschluss der FACHPRÜFUNG I an der Landespolizeischule in den Einzeldienst zurückgekehrt und froh, endlich wieder „auf der Gass“ arbeiten zu können. Nach fünf Jahren und vier Monaten wurde ich gemäß REGELBEFÖRDERUNGSGESETZ – gegen diese Beförderung kann der deutsche Polizeivollzugsbeamte keinen WIDERSPRUCH einlegen - zum POLIZEIMEISTER ernannt, denn es ist auch noch kein „POLIZEIMeister vom Himmel gefallen“. Wieso die normale Beschäftigung eines Schutzpolizisten „EINZELDIENST“ genannt wird, habe ich bis heute nicht verstanden, denn laut POLIZEIDIENSTVERORDNUNG (PDV 100?) darf man aus Gründen der EIGENSICHERUNG nie allein auf Streife gehen.
An jenem ereignisreichen Tag war ich mit PHM Blesch auf Fußstreife. Blesch wollte mir sein Revier zeigen und mich „ortskundig machen“. Die südliche Vorstadt gehörte zwar zum Dienstbezirk der „Münzwache“, dem 1. Polizeirevier inmitten der Altstadt (in Anlehnung an die berühmte Hamburger Schwester auch „Koblenzer Davidwache“ genannt), aber in Beschs Revier waren wir aufgrund der Entfernung eher selten zu Fuß unterwegs.
Ich fuhr mit einem VW-Käfer 1200 zur Wache am Hauptbahnhof. PHM Blesch wollte nicht schon von der Wache „auf Schusters Rappen“ zur Fußstreife starten, sondern ich sollte ihn bis zur Grenze seines Reviers fahren. Beim Einsteigen ächzte die Karosserie des VW-Käfers lautstark und der Wagen neigte sich aufgrund des vom Polizeiarzt festgestellten „Schlachtgewichts“ (so nannte Besch es selbst!) stark zur Beifahrerseite. Blesch war ein netter Kerl (untersetzte Figur mit kulinarischer Zone rund um den Bauch, waffenscheinpflichtige Hände und einer stattlichen Körpergröße von einsachtundneunzig) und als Kontaktbereichsbeamter im Tagdienst für die südliche Vorstadt zuständig. Blesch behauptete, er kenne alle „verborgenen Ecken“ und zeigte im Vorbeifahren auf die Hinterhöfe, in denen Autofirmen, Druckereien und andere handwerkliche Betriebe ihre Werkstätten hatten. Bei einem dringenden Einsatz könne man diese Örtlichkeiten bei Dunkelheit nur schwer aus dem Streifenwagen erkennen und daher sei diese „Erkundungsfahrt“ für junge Beamte wichtig, um rechtzeitig an einen Einsatzort in seinem Revier zu gelangen, denn er habe auf der nur tagsüber geöffneten Wache um 17:00 Uhr Feierabend. Aber „Gott sei Dank“ sei in seinem Revier noch nichts passiert und das solle auch so bleiben.
Blesch bat mich zunächst zum Busunternehmen Kilian in der Laubach zu fahren, dort könnten wir am Ende seines Reviers den Streifenwagen parken und noch ein paar Schritte zurückgehen. Der ältere Kollege (kurz vor der Pensionierung) konnte weder ahnen, dass der in Koblenz bekannte (einzige) Busunternehmer mein künftiger Schwiegervater war (ich trug noch meinen „Mädchennamen“ und war für ihn nur PM Schmitt) noch konnte er wissen, dass ich in „seinem Revier“ schon gewildert hatte. In der Sturm- und Drangzeit feierten meine Freunde und ich in den Wohnkommunen mit den GP-Mäuschen (so nannten sie sich selbstironisch, weil sie an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Grundschulpädagogik studierten) in der südlichen Vorstadt bis in die frühen Morgenstunden. Blesch ahnte auch nicht, dass es in der „Milchbar“ alles gab, außer Milch und dort oft ein süß-würziger Geruch durch den schmalen dunklen Raum hinweg zog, wenn der Discjockey seine Platten auflegte (runde schwarze Scheiben mit einem Loch in der Mitte).
Nachdem Blesch mit Alois Kilian (der mich nur angrinste und den „jungen Schutzmann nach dem Namen fragte) sein „zweites Frühstück“ eingenommen hatte - will heißen, zwei Schnäpschen („auf nur einem Bein kann man nicht - auf Fußstreife - gehen“) - gingen wir endlich los. Minuten später ertönte die Stimme des Funksprechers der Einsatzleitstelle über das Handfunkgerät, das Blesch eigentlich nicht mitnehmen wollte („in meinem Revier passiert nix, alles in Lot!“).
„Hier Mosel an alle, Mosel an alle im Stadtgebiet, Mosel kommt mit Ringalarmfahndung, …“
und es die Adresse und genaue Angabe des Tatorts in dem Mehrfamilienhaus gegenüber ein „soeben verübter Mord“ mitgeteilt. Ich rannte los. Blesch wollte mich n zurückhalten. Wollte sich kurz vor der Pension nicht in Lebensgefahr begeben. Verständlich, aber vergeblich. Dann humpelte er hinter mir her.
Hinter der Wohnungstür im Erdgeschoss hörten wir ein Schluchzen und unverständliche Wortfetzen.
Ich zog meine Pistole aus dem Holster und blickte Blesch an. Der trug noch die große Pistolentasche für die größere Waffe bei der Bereitschaftspolizei am Gürtel. „Willst du nicht deine Waffe in die Hand nehmen?“, flüsterte ich. Blesch zuckte mit den Schultern und öffnete seine Pistolentasche, aus der statt einer Waffe nur zerknülltes Pergamentpapier und ein angebissenes Salamibrot herausragte, der Rest des zweiten Frühstücks.
„Willst du den Mörder etwa mit Salamischeiben bewerfen?“, fragte ich verwundert und trat die Wohnungstür ein.
Der Mörder saß auf einem Stuhl, weinte und telefonierte mit der einen Hand. Mit der anderen streichelte er liebevoll die Hände der Frau auf der Couch, die er soeben erwürgt hatte. „Warum hat Sie das gemacht?“ fragte er mit zitternder Stimme die Person am anderen Ende der Leitung, ließ sich von mir (ohne Belehrung!) widerstandslos die Handschellen anlegen, mit denen ich ihn an der Heizung fixierte.
Während Blech per Funk der Einsatzleitstelle die aktuelle Situation mitteilte, versuchte ich die Tote vergeblich zu reanimieren. Da Blesch inzwischen die Wohnung verlassen hatte, weil dort (angeblich?) keine Funkverbindung zustande kam, griff ich danach zum Telefon (aus dem eine Stimme schrie „Was ist passiert?“) und erfuhr nun, wieso die Leitstelle den Funkspruch kurz nach der Tat und mit einer exakten Tatortbezeichnung absetzen konnte.
Nachdem die ersten beiden Streifenwagen, Kollegen vom Kriminaldauerdienst und der Notarzt eintrafen, verließen Blesch und ich den Tatort, um unseren Bericht über den sogenannten „ersten Angriff“ zu schreiben. Vor der Tür verschlang der Polizeihauptmeister noch den Rest seiner Salamistulle und murmelte mit vollem Mund „Spreche Lob und Anerkennung aus! Haben wir gut gemacht!“ Was war geschehen? Die Lösung des Falles steht im Rapportbericht der Einsatzleitstelle
Beförderung zum Polizeimeister. Foto: Dieter Hoffmann
Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder und KHK a.D.) hat zahlreiche Bücher (u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, mit Uwe Ochsenknecht verfilmt) und Themenhefte zur Früherkennung und Bewältigung von Krisensituationen (Drogen, Gewalt, school-shootings) mit einer Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplare geschrieben. Im September ist ENTFÜHRT der vierte Krimi seiner Serie „Neben der Spur“ erschienen.