Gesine Schulz
Jane Beß war eine der produktivsten Drehbuchautorinnen ihrer Zeit und schuf eine der ersten Detektivinnen des deutschen Films.
Sie schrieb auch das Drehbuch für die weltweit erste Verfilmung eines Kriminalromans von Agatha Christie, arbeitete als Filmdramaturgin und führte mindestens einmal Regie.
Mit vier, fünf Kolleginnen gehörte Beß (andere Schreibweise: Bess) zu den am meist beschäftigten Drehbuchautorinnen der deutschen Stummfilmzeit. 1922 sei sie ʺeine der bekanntesten deutschen Filmautoren/innenʺ gewesen, konstatiert der Filmwissenschaftler Jürgen Kasten: ʺIn den wenigen überlieferten Filmprogrammen […] wird sie als Autorin besonders herausgestellt.ʺ

In einem Interview mit der Zeitschrift Film-Atelier sagte sie, ʺdaß es weniger darauf ankommt, was man schreibt, als wie man es schreibtʺ.
Dies erklärt vermutlich die ʺMarke Beßʺ und auch, warum sie sich nicht auf wenige Genres beschränkte.
1926 spricht sie von 128 Filmen, deren Drehbücher sie bis dato geschrieben habe. Das Portal des Deutschen Filminstituts führt Beß im Jahr 2015 als Autorin von 88 Filmen auf. Man muss davon ausgehen, dass viele Nachweise anderer Filme verloren gingen oder noch in Zeitungsarchiven auf Wiederentdeckung warten.
Sie war etwa zwischen 1918 und 1935 als Drehbuchautorin tätig und schrieb für diverse Filmgenres; darunter auch – und vielleicht besonders gerne – Detektiv- und Kriminalfilme.
Einige nach Beß′ Drehbüchern verfilmte Kriminalfilme waren:
Verbrechen in der Wallstreet 13 (1921), Regie: Wolfgang Neff.
Hilfe! Überfall! (1931), Regie: Johannes Meyer.
Einbruch im Bankhaus Reichenbach (1930), nach dem Roman Bankhaus Reichenbach von Artur Landsberger, Drehbuch gemeinsam mit Alexander Lapiner, Regie: Jakob und Luise Fleck.
Brillanten-Mieze (1921), Teil 1 und 2, Regie: Wolfgang Neff.
Der Seriendetektiv Mortens war eine ihrer Erfindungen. Für die neue Orplid-Film-Gesellschaft schrieb sie 1920 sechs Mortens-Filme, darunter Der Plan der Drei, Der Mann in der Falle und Der Unerkannte, Regie jeweils Wolfgang Neff.
Bald darauf erfand sie die attraktive und gewitzte ʺDetektivin aus Launeʺ, die Engländerin Miß Magde Henway.
Dargestellt von Edith Posca jagte Miss Henway 1921 in zwei Filmen Verbrecher:
Das Achtgroschenmädel. Jagd auf Schurken. Teil 1 und 2, Regie: Wolfgang Neff.
ʺAchtgroschenmädelʺ scheint eine Bezeichnung für eine bezahlte Spionin, Spitzelin oder eben Detektivin gewesen zu sein.
Auch die erste Verfilmung eines Kriminalromans von Agatha Christie beruht auf einem Drehbuch von Jane Beß.
Bereits vier Jahre bevor die deutsche Übersetzung von Christies zweitem Buch The Secret Adversary als Die Abenteurer-G. m. b. H. bei Goldmann erschien, verfilmte die Orplid-Film im Februar 1928 den Roman unter der Regie von Fred Sauer. Heute erscheint das Buch als Ein gefährlicher Gegner bei Fischer.
Im selben Jahr wurde übrigens in Großbritannien eine Kurzgeschichte Christies verfilmt, die schon im Juli 1928 in die britischen Kinos kam. Beides waren noch Stummfilme.
Wie Jane Beß auf den Stoff gestoßen ist, ist nicht bekannt.
Offensichtlich mochte und las sie wie viele ihrer Landsleute englische Kriminalromane. Möglich, dass sie The Secret Adversary bald nach Erscheinen 1922 in einer Berliner Buchhandlung entdeckt hat. Wann und wie auch immer – es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass 1921, als Jane Bess die beiden Drehbücher über ihre Detektivin schrieb, eine unbekannte englische Autorin für ihren zweiten Kriminalroman mit Tuppence eine ähnlich abenteuerlustige Engländerin erfand.
Die Abenteuer-G.m.b.H. wurde in Berlin und Southampton gefilmt.
Die englische Schauspielerin Eve Gray und der Italiener Carlo Aldini verkörperten die beiden Amateurdetektive Tommy Beresford und Prudence ʺTuppenceʺ Cowley, denen Jane Beß allerdings andere Namen gegeben hatte.
Beß, die ʺReiten, Tennis, Autoʺ als ihre bevorzugten Sportarten nannte, schrieb gerne Actionszenen und Verfolgungsjagden in ihre Drehbücher.
In Die Abenteuer-G.m.b.H. vollführten alle Darsteller und Darstellerinnen ihre eigenen Stunts. Berliner Passanten, die erst die Kameras nicht bemerkt hatten, stockte der Atem, als Gray und Aldini in einer Szene halsbrecherisch aus einem mehrstöckigen Gebäude fliehen und in die Spree springen. Eve Gray erinnerte sich später gerne an ihre Rolle als ʺrather dashing young lady detectiveʺ und die Dreharbeiten in Berlin.
Die Abenteuer-G.m.b.H. hatte am 15. Februar 1929 im Atrium in Berlin Premiere. Der Film war recht erfolgreich und wurde auch in anderen europäischen Ländern gezeigt; in Großbritannien als Adventure, Inc.
Bis vor einigen Jahren hielt man die letzte Kopie des Films für verloren. Inzwischen wurde eine Filmkopie wiedergefunden und restauriert.
Beim ʺInternational Agatha Christie Festivalʺ, das anlässlich des 125. Geburtstags der Krimiautorin im September 2015 in Torquay stattfand, wurde ʺthis fascinating filmʺ am 17. September 2015 wieder aufgeführt – stilecht: wie zu Stummfilmzeiten musikalisch untermalt. Das Festival hat dafür den auf Stummfilmbegleitung spezialisierten Pianisten Neil Brand engagiert.
Über das Leben von Jane (Hertha) Beß, Film-Schriftstellerin, ist heute nur wenig bekannt.
Sie wurde am 28. November 1894 geboren. Nach eigener Auskunft besuchte sie erst eine Töchterschule, dann die Universität. Seit 1912 war sie in der Filmbranche tätig.
Das einzig bekannte Foto von ihr stammt aus Film und Brettl. Illustrierte Halbmonatsschrift, März 1922, und zeigt eine elegante schöne junge Frau, geradezu mondän, mit breitrandigem Hut, Pelz und Perlenkette.
1921 heiratete sie Alfons Fruchter, den Direktor der Ima-Film. Sie wurde Mutter einer Tochter.
Seit Mitte der 1920-er-Jahre wohnte Jane Beß in Berlin-Wilmersdorf. Dort ist sie für die Jahre 1926 bis 1931 als Jane Fruchter-Beß beziehungsweise Beß-Fruchter gemeldet. Ihr Mann Alfons Fruchter wohnte 1926 bis 1934 in Schöneberg, 1934 mit der Berufsbezeichnung Journalist, vorher als Kaufmann.
Ob die beiden Adressen darauf hindeuten, dass sich das Paar um 1925/26 getrennt hatte?
Das Jüdische Adressbuch für Gross-Berlin 1931 nennt unter der Schöneberger Adresse neben Alfons Fruchter auch eine Herta Fruchter, während Jane Bess weiter in Wilmersdorf wohnt. Ob Herta seine zweite Ehefrau war oder vielleicht die Tochter von Jane, die den zweiten Vornamen ihrer Mutter trug und beim Vater lebte?
1933 hat Jane Beß Deutschland möglicherweise verlassen; eventuell ging sie in die Niederlande. Für den holländischen Tonfilm De Kribbebijter schrieb sie ihr wohl letztes verfilmtes Drehbuch. Regie führte Hermann Kosterlitz, der Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlassen hatte, später in die USA emigrierte und als Henry Koster ein erfolgreicher Hollywood-Regisseur wurde.
In den Jahren 1935 und 1936 ist Jane Beß wieder in Berlin gemeldet, an einer anderen Wilmersdorfer Adresse als vorher.
Danach verliert sich ihre Spur und die ihrer Familie.
Literatur:
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, hrsg. von Hans-Michael Bock, Loseblattwerk auf 12.000 Seiten in acht Ordnern (letzte Ausgabe: München 2013)
Mühsam, Kurt und Jacobsohn, Egon: Lexikon des Films, Berlin 1926
Kasten, Jürgen: Populäre Wunschträume und spannende Abenteuer, in: Das Drehbuch, hrsg. von Alexander Schwarz, München 1992
Der Beitrag in Gesines Blog.
Mehr über Gesine Schulz hier.