Tot im Winkel
Cosma Pongs ermittelt - Kriminalroman
Ella Dälken
Heyne HC
Taschenbuch
Ein einsamer Landgasthof. Ein Moor, das alles verschluckt. Ein Ermittlerduo wider Willen.
Ausgerechnet in einem einsamen Hotel im Moor führt die Düsseldorfer Kriminalpolizei einen Profilingworkshop durch. Da muss ja was passieren, glaubt Hobby-Krimiautorin Cosma Pongs und mietet sich in das Hotel ein. Sehr zum Unmut ihrer Tochter, Kriminalhauptkommissarin Paula Pongs. Und tatsächlich: Während Paula mit dem smarten Gerichtsmediziner Doc Fischgrät einen lauschigen Abend in der Hotelbar verbringt, stürzt der arrogante Star-Profiler vom Balkon seines Hotelzimmers und landet direkt vor Cosmas Füßen. Ein Mord, das steht für Cosma außer Frage.
Ella Dälken
Ella Dälken studierte Germanistik und Geschichte in Osnabrück und Nottingham. Heute ist sie in Düsseldorf zuhause und lässt sich von der lebendigen Stadt zu neuen Geschichten inspirieren. Ihre literarische Reise begann 2013, als sie beim Sylter Kurzgeschichtenpreis gewann. Im Jahr darauf erschien ihr erster Kriminalroman. Inzwischen veröffentlicht sie unter Pseudonym historische Norderney-Krimis.
Sie ist in mehreren Autorenverbänden aktiv und organisiert Fortbildungskurse rund um das Thema Schreiben und Kriminalistik.
Tot im Winkel ist die Empfehlung der Woche der SYNDIKATs-Redaktion vom 05. November 2018.
Einige Fragen an die Autorin Ella Daelken
Wann begann Ihre kriminelle Laufbahn?
Ich hatte schon immer viel Fantasie und habe als Kind gerne gelesen. Irgendwann dachte ich: Das möchte ich auch machen! Schnell habe ich gemerkt, dass zum Schreiben mehr gehört, als sich einfach hinzusetzen und loszulegen. Schreiben ist zu einem großen Teil Handwerk. Also habe ich Ratgeber gelesen, Seminare besucht, mich vernetzt - kurz: mich weitergebildet. Dann konnte ich erste Kurzgeschichten veröffentlichen. Ein Weg, den ich nur empfehlen kann, denn Kurzgeschichten bieten eine hervorragende Möglichkeit unterschiedliche Stile auszuprobieren und Geschichten auf wenige Seiten zu konzentrieren. 2011 erhielt ich den zweiten Platz beim Sylter Kurzgeschichtenpreis, was mir Antrieb gab, mein Romanprojekt voranzutreiben. Ein Jahr später konnte ich dann tatsächlich meinen ersten veröffentlichten Kriminalroman in den Händen halten.
Wie viele Verbrechen gehen auf Ihr Konto?
Etwa ein Dutzend Kurzgeschichten bei verschiedenen Verlagen und drei Romane. 2012 erschien mit "Nur fünf Tage" mein erster Roman, eine düstere Entführungsgeschichte. 2017 erschien mit "Tot überm Zaun" der erste Band meiner Reihe um die Hobbyautorin Cosma Pongs und ihre Rentner-WG. Im August 2018 erschien mit "Tot im Winkel" der zweite Band der Reihe.
Warum haben Sie sich für ein Leben mit dem Verbrechen entschieden?
Ich schreibe Krimis, weil mich das Spiel mit den Grenzübertretungen fasziniert. Im Krimi geht es um Mord, um menschliche Abgründe. Ich mag es, unterschiedlichste Perspektiven herauszuarbeiten. Mein erster Roman war düster angelegt, es geht um eine Entführung, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Als Leserin von Kriminalromanen hatte ich dann aber zunehmend satt, dass es immer brutaler zugeht und vorwiegend Voyeurismus bedient wird. Ich dachte mir: Das muss doch auch anders gehen. Deswegen habe ich mich bei meiner Cosma Pongs-Reihe für einen eher humorvollen Grundton entschieden.
Was ist Ihre Lieblingstatwaffe?
Als begeisterte Gärtnerin fasziniert mich Pflanzengift als Tatwaffe, vor allem, weil es für jeden verfügbar ist. So bin ich beispielsweise im letzten Herbst beim Spazierengehen am Rhein über mehrere Stechäpfel gestolpert. Wenn man die Augen aufhält, sieht man immer wieder Giftpflanzen. Außerdem kann man mit Gift auf die Entfernung töten, ohne selbst aktiv werden zu müssen und Gefahr zu laufen, gefasst zu werden.
Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?
Krimi ist für mich ein Gedankenspiel, ein Rätsel, das es zu lösen gibt. Es macht wahnsinnig Spaß Figuren zu entwicklen, Mordmotive zu entwerfen und vor allem falsche Fährten zu legen.
Leseprobe:
Cosma
AUF ZUM GALGENVENN
Stellen Sie sich doch nur vor: Wir entdecken eine Moorleiche!« Ich schüttle mich mit freudigem Grausen und sehe es direkt vor mir: In meinen hübschen rot gepunkteten Gummistiefeln wate ich durch das modrige Wasser, auf einmal blubbert es, und ein halb vermoderter Kopf taucht neben mir auf. Ein perfektes Wochenende. Und dass die nächsten Tage genau das werden, steht außer Frage. Denn ich bin mit meinen Mitbewohnern – allesamt Kriminalschriftsteller – auf dem Weg zu einem Schreiburlaub am Galgenvenn, einem der schaurigsten Moore am Niederrhein. »Natürlich würden wir den Fall sofort übernehmen«, lege ich fest.
Mein Mitbewohner Herr von Itzenplitz streicht nachdenklich über sein Bärtchen. Er sitzt neben mir auf der Rückbank des Wagens, sein grauer Anzug hebt sich kaum von den Polstern ab. »Frau Cosma, der Tod der aufzufindenden Person dürfte bereits vor Hunderten von Jahren erfolgt sein. Glauben Sie, wir können nach so langer Zeit den Tathergang rekonstruieren?«
Hm, da hat er recht. »Vielleicht passiert ja etwas anderes. Immerhin findet im Hotel gleichzeitig der Workshop der Mordkommission statt. Was wirkt anziehender auf Verbrecher als die Polizei?«
Ich sehe an Herrn von Itzenplitz’ Gesichtsausdruck, dass er meiner Argumentation nicht folgt. Dabei ist er wie ich eng mit der Materie verbunden, er schreibt nämlich Arbeiterkrimis. Gerade hat er ein Manuskript beendet mit dem Titel Glückauf in den Tod. Mord an einem kapitalistischen Ausbeuter im Umfeld der proletarischen Genossenschaft. Ich bin nicht sicher, ob der Titel glücklich gewählt ist.
»Sie haben die Information erhalten, dass ein echter Profiler vor Ort sein wird, Frau Cosma?«, unterbricht Herr von Itzenplitz meine Gedanken.
»Absolut, mein Lieber. Und zwar kein Geringerer als Ralf Maria Kleinert. Er ist eine absolute Koryphäe, hat den Düssel-Würger dingfest gemacht und die Kölner Giftmischer überführt. Ich bin wirklich gespannt, ihn kennenzulernen.« Wie gut, dass ich aus zuverlässiger Quelle weiß, dass er in diesem Landhotel in der Nähe des Galgenvenn einen Vortrag halten wird. Sofort haben wir für unsere WG ein Autorenwochenende in dem Hotel arrangiert, und jetzt sind wir auf dem Weg dorthin. Unsere Mitbewohnerin Gerda hat heute Morgen ihr silberfarbenes Mercedes Cabrio aus der Garage geholt, und inzwischen liegt Düsseldorf ein gutes Stück hinter uns.
»Vielleicht hat der Profiler Anregungen, wie ich mein Opfer möglichst lange leben lassen kann, während ich es zerstückele.« Gerda lächelt entrückt und überholt schnittig auf der rechten Seite einen Porschefahrer. Ihre grauen Löckchen wirbeln im Fahrtwind, und sie winkt ihm freundlich zu.
»Es war wirklisch Jlück, dat Sie von dem Polizeiseminar jehört haben«, unterbricht Ewald Meier-Zuhorst meine Gedanken. Er wendet seinen kleinen runden Körper zu uns, sodass wir endlich mehr von ihm sehen als nur sein Resthaar, das wie ein Lorbeerkranz um seinen Kopf liegt. Offenbar hat er beschlossen, sein eingeschnapptes Schweigen zu unterbrechen. Den ganzen Morgen hat er nämlich keinen Ton gesagt, und das nur, weil er den Mercedes nicht aus der Garage fahren durfte. Ewald Meier-Zuhorst fährt unheimlich gerne. Egal womit. Genau wie Eddi Mei-Zu, der Held seiner Agententhriller, der mit müheloser Eleganz jedes noch so abwegige Gefährt lenkt. Ob Rennwagen, Panzer oder Zeppelin, am Ende hat der Agent immer den Bösewicht vertrieben und das niederrheinische Weeze vor dem Untergang gerettet. Der echte Eddi verfügt dagegen nicht über ganz so viel Talent. Bei seinem letzten Ausflug mit einem Bagger zerstörte er einen kompletten Schrebergarten. Seitdem halten wir alle fahrbaren Geräte von ihm fern.
»Lieber Eddi, es war kein Glück, dass ich von dem Seminar im Moorhotel erfahren habe. Das war knallharte Ermittlungsarbeit«, stelle ich klar.
Eddi nickt anerkennend. »Dat hab isch mir schon jedacht.«
Eigentlich könnte es ganz einfach sein, an solche Informationen zu kommen. Meine Tochter arbeitet nämlich bei der Mordkommission der Düsseldorfer Polizei. Aber Paula will mit mir nicht über ihre Arbeit reden, sie leidet geradezu unter Verfolgungswahn. Ihren Arbeitsschreibtisch hat sie mit einem dreifachen Schloss gesichert. Völlig paranoid, meiner Meinung nach. Und zudem nutzlos. Ihr Kollege Walter Körbchen ist nämlich viel sorgloser im Umgang mit sensiblen Daten. Er verwendet gedankenlos den Papierkorb. Und genau darin habe ich die Einladung zu dem Polizeiworkshop gefunden.
»Glauben Sie wirklich, dass wir mit dem Profiler werden sprechen können?«, reißt mich Herr von Itzenplitz aus meinen Gedanken.
Nun ja. Das ist so eine Sache. Meine Tochter will partout nicht einsehen, wie wunderbar wir die Polizei als externe Berater unterstützen könnten, und ich fürchte, sie wird alles versuchen, den Profiler von uns fernzuhalten. »Wir werden einen Weg finden«, antworte ich nachdenklich. »Wie groß kann so ein Hotel schon sein? Irgendwann muss uns der Mann über den Weg laufen. Ob er will oder nicht.«
Eddi dreht sich wieder zu uns um: »Wenn allet nicht hilft: Isch habe die Abhöranlage einjepackt.« Vor einigen Wochen hat Eddi bei der Recherche für sein Buch einen Fernsehbericht gesehen, in dem ein Reporter mit vorwurfsvoller Stimme berichtete, dass Spionagegeräte mittlerweile für jedermann frei im Internet erhältlich seien. Nur einen Tag später richtete ein pickliger Junge in Eddis Zimmer einen hyperschnellen Internetzugang ein, und Eddi tätigte erste Einkäufe. In den nächsten Tagen kamen Pakete über Pakete. Einen Großteil davon hat Eddi heute Morgen in den Kofferraum gepackt, womit kein Platz mehr für unsere Koffer war. Da wir nicht den Eindruck hatten, dass Eddi Argumenten zugänglich ist, habe ich ihn abgelenkt, indem ich mir von ihm die Vorteile von Pistolen gegenüber Revolvern
erläutern ließ. Während er mir einen durchaus interessanten Vortrag hielt, haben Herr von Itzenplitz und Gerda zwei seiner fünf Seesäcke aus dem Wagen herausgeräumt und unsere Koffer hinein.
»Gerda, wie wäre es mit ein wenig Musik?«, frage ich, um vom Thema abzulenken. Gerda nickt begeistert, schiebt eine Kassette in den Rekorder, und kurz darauf beginnen die ersten Takte von Siebzehn Jahr, blondes Haar, Gerdas Lieblingslied. Eddi hat unser Ablenkungsmanöver nicht durchschaut, sein Fuß wippt entspannt zur Musik.
Eine Stunde später biegen wir von der Autobahn ab. Unser Wagen bebt vom voll aufgedrehten Aber bitte mit Sahne. Gerda und ich ahmen absolut naturgetreu Udo Jürgens’ Stimme nach, Eddi und Herr von Itzenplitz singen den Backgroundchor. Es ist herrlich.
Die Dörfer, die wir durchfahren, werden immer kleiner, bis sich schließlich kilometerlang kein Haus mehr zeigt. Nur noch Landschaft. Birken, kahle Büsche und Wiesen, über denen bedauernswerterweise nicht ein Hauch von Nebel liegt. Ich ziehe mein Diktiergerät hervor, um die Impressionen für einen späteren Roman festzuhalten. Ich drücke die Taste, und quietschend setzen sich die Räder in Bewegung. »Es ist stockduster, als wir uns unserem Ziel nähern. Kein Vogel ist am Himmel zu sehen, schwarze Ödnis umgibt uns. Mein untrügliches Gespür sagt mir: Es wird ein Mord geschehen.«
»Liebe Frau Cosma, hier ist keine schwarze Ödnis. Wir haben hellen Sonnenschein, perfektes Herbstwetter«, wirft Herr von Itzenplitz ein. »Es ist alles völlig unverdächtig.«
»Realismus mag gut und schön sein, ist aber langweilig«, antworte ich. Bevor wir diesen Dialog weiter vertiefen können, wird unser Auto langsamer, Gerda biegt von der Hauptstraße ab. Wir überqueren eine winzige Brücke über einen Bachlauf. Ein Holzschild weist den Weg: Landhotel Zum toten Winkel. Ein seltsamer Name für ein Hotel. Zumal für eines, das am Galgenvenn liegt.
»Sollte diese Brücke einstürzen, sind wir vom Rest der Welt abgeschnitten«, überlege ich, denn als erfahrene Krimiautorin weiß ich, was alles passieren kann. »Ausgeliefert den Gefahren dieses Urwaldes. Tödliche Sumpflöcher, gnadenlose Schlingpflanzen, bissige Rehe.«
»Bissige Rehe?«, fragt Gerda von vorne.
Warum muss eigentlich jeder meine Worte mit diesem Unterton wiederholen? »Rehe sind heimtückische Geschöpfe«, erkläre ich mit Nachdruck.
Eddi Mei-Zu schaut aus dem Seitenfenster in den Wald. »Isch finde, dat sieht hübsch aus«, sagt Eddi Mei- Zu. »Die bunten Blätter in der Sonne, dat jrüne Moos. Schön.«
»Sie haben vollkommen recht, mein lieber Eddi«, pflichtet Gerda ihm bei. Sie hält an und sieht sich mit entrücktem Blick um. Plötzlich deutet sie aufgeregt zu einer Lichtung. »Bambi!« Sie ist völlig aus dem Häuschen. Ich folge ihrem ausgestreckten Finger. Tatsächlich grasen dort einige Rehe. Als sie unseren Wagen bemerken, betrachten sie uns mit großen Augen.
»Alfred ... schau mal!« Gerda hält die Tasche hoch, in der unser rot getigerter WG-Kater sitzt, den wir natürlich nicht allein in unserer WG in Düsseldorf zurücklassen konnten. Alfred scheint jedoch von den anderen Tieren wenig angetan: Er faucht. Gerda hat heute Morgen einiges an Körperkraft aufbieten müssen, um ihn in die Tasche zu bekommen. Denn so sehr Alfred Ausflüge liebt, so sehr verabscheut er es, in die Tasche gesperrt zu werden. Blutige Kratzer auf Gerdas Handrücken zeugen von dieser Antipathie. Gerda setzt ihn samt Tasche auf ihren Schoß, kontrolliert den Reißverschluss. Dann schiebt sie ihm ein Fischstückchen durch eine Öffnung. Alfred zögert, kann dann jedoch dem Duft nicht widerstehen. Während er die Leckerei hinunterschlingt, faucht er noch einmal, es klingt aber schon ein wenig versöhnlicher.
Gerda schiebt Alfred und die Tasche wieder zu Eddi hinüber und fährt weiter. Wir biegen um eine Kurve, und das Landhotel taucht vor uns auf. Gerda lässt den Wagen ausrollen, und wir starren allesamt aus dem Fenster. Wie in Trance hole ich mein Diktiergerät heraus: »Vor uns liegt ein düsteres Gemäuer. Efeu rankt über die blutroten Steine, die Fensterläden haben den gräulichen Schimmer einer halb verwesten Leiche. Die Tür zum Innenbereich steht offen wie ein zahnloser Mund.«
Diesmal kommt von Herrn von Itzenplitz kein Protest. Mit gerunzelter Stirn blickt auch er auf das Hotel. »Unsere Unterkunft scheint mir ein wenig ... beklemmend zu sein.«
»Beklemmend? Es ist unheimlich. Als wollte es uns verschlingen«, flüstert Gerda, und ich muss ihr zustimmen. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Eher imposant, wie das Schloss am Wörthersee. Aber vor uns liegt ein massiges Backsteingebäude mit Ecktürmchen, wie aus einem Edgar-Wallace-Film. Unter den fast kahlen Eichen, die zu beiden Seiten das Gebäude einrahmen, hat jemand einen ausgehöhlten Kürbiskopf mit brennender Kerze gestellt. Die flackernden Augen starren zu uns herüber. Obwohl die Sonne scheint, liegt der Hof im Schatten und wirkt wie der Vorbote einer langen, langen Finsternis. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, das Wochenende hier zu verbringen. Denn mit einem Mal wird mir klar, dass heute der letzte Tag im Oktober ist. Der Tag der Toten. Fast gleichzeitig mit dieser Erkenntnis spüre ich ein Kribbeln in meinem kleinen Finger. Dieses Kribbeln hat mich noch nie getäuscht: Ein Verbrechen steht bevor.