Meine fremde Mutter
Roman | Frauenroman um ein dunkles Geheimnis aus den 70er Jahren
Christiane Dieckerhoff
Piper
Meine fremde Mutter — Inhalt
Eine Mutter, die ihre Tochter zurücklässt – und eine Tochter auf der Suche nach ihrer Mutter. Eine Geschichte aus dem deutschen Herbst. Für alle Leser:innen von Susanne Abel und Carmen Korn
„Meiner Mutter?“, fragte Rabea fassungslos und sah hinüber zu Gabi, die sie mit besorgten Blicken musterte. „Aber …“ „Ich rede nicht von Gabi Tenwinkel.“ Schon wieder beendete Stolte ihren Satz. Das war schon schlimm genug, aber schlimmer noch war das Mitleid in seinem Blick. „Aber Sie haben doch …“ Rabea starrte ihn an und ihr Magen verwandelte sich in einen Eisklotz.«
Bei der Beerdigung ihres Vaters erfährt Rabea von einem Journalisten, dass ihre Mutter nicht ihre leibliche Mutter ist. Zunächst glaubt sie ihm nicht, doch ein Gespräch mit ihrer Mutter nährt ihre Zweifel und sie bringt ihre Ziehmutter schließlich dazu, ihr die Wahrheit zu sagen. Ihre Mutter ist Veronika Maibohm, eine international gesuchte Terroristin der RAF. Schritt für Schritt folgt Rabea der Spur ihrer Mutter. Sie trifft Weggefährten ihrer Mutter, erfährt mehr über ihren Vater und identifiziert sich zunehmend mit ihren Eltern. Wie konnte aus der engagierten Gymnasiastin Veronika eine international gesuchte Terroristin werden und warum ließ sie ihre Tochter zurück?
© Ilona Voss
Christiane Dieckerhoff
Christiane Dieckerhoff lebt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Als Christiane Dieckerhoff schreibt sie vorwiegend Spreewaldkrimis, als Anne Breckenridge historische Romane und als Nelly Fehrenbach dramatische Liebesromane. Vertreten wird sie durch die Kölner Agentur Molden. Mehr Informationen über aktuelle Bücher und Lesungstermine finden sich auf der Homepage der Autorin.
www.krimiane.de/
Fragen der SYNDIKATS-Redaktion an Christiane Dieckerhoff
Wo schreibst du am liebsten?
Auf dem Laufband.
Welcher ist dein Lieblingskrimi?
Ich liebe jeden Krimi, der eine spannende Geschichte erzählt und sich nicht auf Blutbäder verlässt.
Dein Lieblingskollege/Lieblingskollegin?
Ich liebe einige KollegInnen. Viele sind enge FreundInnen geworden.
Warum bist du im SYNDIKAT?
Weil hier so großartige Menschen sind.
Dein Lieblingswort?
Kein Problem
Dein Sehnsuchtsort?
Ich mag das Meer und ich mag Berge, also liebe ich wohl gebirgige Inseln wie Kreta.
Dein Lieblingsgetränk?
Tee, auch wenn Gin Tonic die coolere Antwort wäre.
Dein Lieblingsmord?
Mord im Affekt.
Wo findest du Ruhe?
Auf meinem Laufband.
Wo Aufregung?
In gut erzählten Geschichten.
Deine persönlich meist gehasste Frage?
Warum schreiben Sie?
Fröstelnd schob sich Nika ein Pfefferminzbonbon in den Mund. Noch war es dunkel und so kalt, dass ihre Zähne schmerzten. Trotzdem schwitzte sie. Ihr Hals kratzte, und sie fühlte sich ein bisschen fiebrig. Seit Tagen hatte sie nicht mehr richtig geschlafen. Die langen Diskussionen, die machten, dass ihr Kopf gleichzeitig schmerzte und auf Hochtouren lief, waren nicht gerade schlaffördernd. Trotzdem war sie hellwach: bis in die Haarspitzen voller Adrenalin. Ein ziehender Schmerz im Rücken. Vor Schreck zerbiss sie das Bonbon. Das Funkgerät in ihrer Jackentasche knisterte, und Nika vergaß den Schmerz. Sie verschluckte sich an den Bruchstücken des Pfefferminzbonbons, hustete, spürte, wie ihr Slip feucht wurde, dabei hatte sie nicht einmal das Gefühl, pinkeln zu müssen. Sie spuckte die Bröckchen im hohen Bogen auf die Straße, und der Dackel schnüffelte daran. Jetzt nur keinen Fehler machen, nur nicht versagen. Ab jetzt hing die ganze Aktion von ihr ab.
Nika zog den Dackel mit sich und ging hinüber zu der Stelle, an der Batterie und Kabel versteckt waren. Miteinander verbunden, würden sie die Lichtschranke mit Strom versorgen. Ihre Beine zuckten, wollten rennen, aber sie wusste, dass sie genügend Zeit hatte, also schlenderte sie. Nika wirkte unbeteiligt, eine müde junge Frau im Jogginganzug, die ihren Dackel Gassi führte.
Der erste Wagen rauschte an ihr vorbei, passierte das Kinderfahrrad. Sie bückte sich, als wolle sie ihren Schuh zubinden, und griff nach den losen Drahtenden, die aus dem Gebüsch herausragten. Der zweite Wagen tauchte aus der Sackgasse auf. Nikas Finger zitterten. Sie starrte auf das Kinderfahrrad, das am Geländer lehnte. Zum dritten Mal hatten sie es dort hingestellt. Wenn es heute nicht klappte, würden sie die Aktion abblasen müssen. Es war eh schon ein Wunder, dass noch niemand Verdacht geschöpft hatte. Sie legte das Bekennerschreiben, in dem sie als »Kommando Wolfgang Beer« die Verantwortung für die Hinrichtung des Chefs der Deutschen Bank übernahmen, unter einen Stein und verband die Drahtenden mit der Batterie. Sie hätte es im Schlaf gekonnt. Die Zeichnung der Konstruktion hatte sich in ihr Hirn gebrannt. Nika richtete sich auf. Für einen Moment war da wieder dieser Schmerz im Rücken, außerdem drehte sich die Welt um sie. Dann war es vorbei, und sie zerrte den Dackel hinter sich her. Nur weg hier. Alles in ihr wollte wegrennen, doch sie zwang sich, normal weiterzugehen. Der Dackel lief auf ein Stück Wiese, drehte sich im Kreis. Nika zog ihn weiter. Verständnislos stemmte er sich gegen den Zug der Leine. Die Detonation ließ Nika zusammenfahren. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Warme Nässe lief ihre Beine hinunter, dampfte in der morgendlichen Novemberluft. Der Dackel zerrte jetzt an der Leine: jaulend, den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt. Nika ließ die Leine fallen. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sie zu halten, starrte auf die nassen Flecken, die sich auf ihren Hosenbeinen ausbreiteten. Weitergehen, nicht stehen bleiben, wusste der im Guerillakampf geschulte Teil ihres Gehirns, nur ihre Beine konnten damit nichts anfangen. Sie zitterten, fühlten sich an, als seien sie unter Strom gesetzt.