Fischgeflüster
Linthdorfs zehnter Fall
Viernau, Thomas L.
XOXO-Verlag, ein Imprint der Eisermann-Media GmbH
Taschenbuch, paperback, 105 Seiten, 105 Abb.
Linthdorf ermittelt zwischen Aal und Zander
Können Fische flüstern? Nicht nur Linthdorf ist mit dieser Frage beschäftigt. Aber das ist nur eines von vielen Geheimnissen, die der umtriebige Kommissar zu lösen hat. Wieder ist er mit Problemen konfrontiert, die ihm den Schlaf rauben. Dabei fing alles so unkompliziert an – die „Lange Nacht der Wissenschaften“ auf dem Telegraphenberg in Potsdam lockt viele Besucher an. Linthdorf muss aber schon nach kurzer Zeit als Ermittler tätig werden. Ein Toter schwebt reglos im Wasser des Großen Aquariums, ein scheuer Autor verschwindet von der Bildfläche. Linthdorf ist ratlos. Die „Lange Nacht“ wird zu einer seltsamen Abfolge surrealer Momente. Linthdorf zweifelt an seinen Fähigkeiten, kann sich auf seinen gesunden Menschenverstand nicht mehr verlassen.Das Auftreten eines extrovertierten Teemeisters, eines universell versierten Wissenschaftsjournalisten und eines Malers bringen zusätzliche Verwirrung. Milena, die Partnerin Linthdorfs ist besorgt. Auch die Kollegen wundern sich. Was ist nur los mit ihm? Die Suche nach dem Täter wird immer mehr auch zu einem Selbstfindungstrip für den Brandenburger Kommissar, der zwischen Aal und Zander dem Flüstern der Fische nachspüren muss, im wahrsten Sinn des Wortes. Fischgeflüster ist auch der Titel einer Ausstellung des Malers Timo Lenz, der Name eines populärwissenschaftlichen Büchleins des Journalisten Thurold und letztendlich auch der aktuelle Titel des Krimis des menschenscheuen Autors Thorsten M. Siebenau. Was es genau damit auf sich hat, soll hier noch nicht verraten werden. Nur soviel, Linthdorf steht am Ende des Romans vor einem Neubeginn…

Viernau, Thomas L.
Unter dem Namen Thomas L. Viernau veröffentliche ich inzwischen seit 2012 Krimis. Ich lebe und schreibe in Brandenburg. Geboren 1963 im thüringischen Suhl, aufgewachsen im Thüringer Wald, dann nach Berlin gekommen, ein Wirtschaftsstudium absolviert, nebenbei stets gezeichnet und gemalt, schließlich auch begonnen zu schreiben… Anfangs journalistisch, später dann auch als Sach- und Reisebuchautor. Im Jahre 2003 erschien mit „Reisen zum Tee“ ein Reisebuch in die Länder des Tees. Meine persönlichen Erfahrungen als Teehändler wurden darin zu kleinen Reisebildern verarbeitet. Mein Lebensmittelpunkt lag damals noch in Berlin. In vielen Jobs habe ich gearbeitet, u.a. als Journalist, Maler/Graphiker, Kaufmann, mich dann selbständig gemacht, immer rastlos auf der Suche…Endlich in Brandenburg fündig geworden. Das Land wurde literarische und auch wirkliche Heimat für mich. Familiär bin ich glücklich geschieden, zudem Vater zweier Söhne und Großvater eines kleinen Enkelsohnes. Jetzt lebe ich mit meiner Lebenspartnerin in der Lausitzmetropole Cottbus, arbeite als Lehrer für Kunst an einem Gymnasium und schreibe weiter fleißig… nicht nur Krimis, auch Reisebilder (u.a. die vierbändige Reihe „Die Farben Brandenburgs“ und „Das verschwundene Berlin“), bewege mich auf historischen Pfaden im Fontaneschen Sinne (u.a. die sechsbändige Reihe „Zeichnungen zu Fontanes Wanderungen“), illustriere dazu noch Bücher und male Bilder. Für meinen Verlag lektoriere und korrigiere ich nebenbei Bücher aus vollkommen anderen Genres. Außerdem pflege ich ein paar ungewöhnliche Hobbys: Kraniche gucken, alte Industriebauten entdecken, Enten füttern, Briefmarken sammeln, Tee trinken, dialoglastige französische Filme ansehen, antiquarische Bücher lesen und sammeln, unnütze Dinge aufbewahren.... genug davon.
Ein aufregendes und erfülltes Leben ist das!"Wiedersehen mit alten Bekannten" - ein Auszug aus dem Kapitel:
Michelson-Haus, Telegraphenberg zu Potsdam
Samstagabend, 20. Dezember 2012
Linthdorf war wieder zurück bei Milena und seinen beiden Jungs. Die grinsten bereits und machten Witze über sein dauerndes Fernbleiben. Milena lächelte nachsichtig, sie wusste inzwischen, was es hieß, Partnerin eines Kriminalbeamten zu sein. Linthdorf schüttelte den Kopf und brummelte etwas von verrückten Gestalten, die allesamt irgendwie anstrengend waren. Milena hatte inzwischen kurzerhand die Führung übernommen und selbstbewusst verkündet, zur Diskussionsrunde mit dem Krimiautor zu gehen. Außerdem würde sie gern ein paar seiner Bücher erwerben, wenn möglich mit Widmung…
Linthdorf schnaufte, wenn sie wüsste, dass er wegen dem seltsamen Schreiberling schon zwei Mal seine schwer erkämpfte Freizeit unterbrechen und wie ein dummer Schuljunge quer über den Parcours stapfen musste. Aber glücklicherweise hatte er ihr ja nicht gesagt, wen er suchen sollte. Von dem Toten im Aquarium hatte er auch noch nichts erzählt. Dass Voßwinkel mit seiner Freundin Angelika verschwunden war, schien auch außer ihm niemanden aufgefallen zu sein. Für Milena und seine Söhne war der Ausflug auf den Telegraphenberg immer noch erholsam und ganz in Ordnung. Sie hatten sich auch damit arrangiert, dass er immer mal kurzzeitig verschwand um dann außer Atem wieder bei ihnen aufzutauchen. Es hatte sowieso keinen Sinn, nachzufragen, da Linthdorf penibel darauf achtete, nichts von seinem aktuellen Berufsleben preiszugeben. Gerade als sie den Bibliothekssaal betreten wollten, vernahm Linthdorf ein paar ihm sehr vertraute Stimmen.
Eine kleine Gruppe aufgeregt schnatternder Personen stand direkt vor ihm. „Mein Gott! Is det nich der olle Kriminaler!“, die etwas laute, leicht ordinär klingende Stimme von Gunhild Praskowiak ertönte aus der Gruppe heraus. Auch das Zwitscherstimmchen von Mechthild Zwiebel erklang: „Herr Linthdorf! Nein, was für eine Überraschung…Radi, schau doch nur mal, der Kommissar ist das doch!“, dabei stupste sie ihren untergehakten Begleiter an. Es war Meinrad Zwiebel, Faktotum und Hausmeister auf Gut Lankenhorst. Neben dem Ehepaar Zwiebel stand in einem etwas zu großen Wintermantel der Baron, Rochus von Quappendorf. An seiner Seite sein Archivar und persönlicher Sekretär, Rolf Bertram Leuchtenbein, dessen kreisrunde Brille angelaufen war, so dass er kaum etwas erkennen konnte. Gunhild gab ihm einen Knuff. „Bertchen, den kennste doch ooch! Der Kriminaler, damals, als die Sache mit die toten Vögeln passierte, als die Weiße Frau umging und unsern Baron fast zu Tode erschreckt hatte… Mensch, Berti!“
Der Angesprochene reagierte etwas verwirrt. Er hatte Linthdorf ja noch einmal getroffen am Stechlinsee. Dort hatte ein Taucher mit seiner Harpune für Angst und Schrecken gesorgt, und dass mitten im Fontane-Festival. Er erinnerte sich noch gut daran. Leuchtenbein brabbelte ein paar unverständliche Worte. Baron von Quappendorf klopfte Linthdorf auf die Schulter. „Privat hier oder dienstlich? Bei Ihnen weiß man das nicht immer…“ Linthdorf kam kurz ins Schwitzen. Sollte er den Leuten aus Lankenhorst erzählen, was ihn schon wieder umtrieb und dass er schon wieder eine Leiche präsentiert bekommen hatte? Er entschied sich für Harmonie und schüttelte den Kopf. Nein, nein, er sei rein privat mit seiner Familie hier. Dabei verwies er auf Milena und seine beiden Söhne. Die Lankenhorster schauten etwas verdutzt auf die schöne, blonde Frau an Linthdorfs Seite. Sie kannten ja nur die dunkelhaarige Louise Elferdink. Deren tragisches Ende hatten sie natürlich mitbekommen. Aber das Linthdorf so schnell Ersatz für die Verstorbene gefunden hatte, überraschte sie schon.
„Wollen sie auch zu dem Krimischreiber?“, fragte Mechthild, um die peinliche Stille nach der Vorstellung Milenas zu überbrücken. Linthdorf lächelte. „Ich selber nicht so sehr, aber meine Begleitung schon.“, damit verwies er auf die neben ihm stehende Milena. „Na, da könnwa doch ooch zusammen rin in die jute Stube. Wia ham uns schon die Lesung anjetan. War echt Spitze… Also die Jeschichten, die Siebenau da vorlas. Voll spannend, fast wie im echten Leben.“, dabei glänzten ihre Augen. Unschwer zu erkennen, dass sie für Siebenau mehr als nur literarisches Interesse hegte. Leuchtenbein reagierte etwas süßsauer auf die Schwärmerei. „Naja, ist ja doch mehr Trivialliteratur… An Fontane kommt der nicht ran. Aber spannend war es schon.“ Gemeinsam betraten sie das Michelson-Haus, staunten nicht schlecht über die wunderbare Gründerzeitarchitektur und liefen den vielen Menschen hinterher, die allesamt in den großen Bibliothekssaal strömten. Die Diskussionsrunde hatte gerade begonnen. Siebenau thronte auf einem etwas erhöht stehenden Sessel, vor sich auf einem Tischchen eine Wasserflasche und ein Glas. Er war darauf eingestellt, die Fragen seiner Leser zu beantworten.
Nur weit hinten waren noch freie Plätze, als die kleine Gruppe in den Saal kam. Links und rechts waren Bücherregale mit wissenschaftlichen Abhandlungen über alle nur möglichen Bereiche der Astronomie, Kosmologie, Astrophysik und Raumfahrt. Allein dafür lohnte es sich schon, einmal in diese wunderbare Bibliothek zu kommen. Normalerweise wurde der Saal als Lesesaal genutzt, doch heute Abend war er umfunktioniert worden. Linthdorf studierte die Buchtitel, während die anderen der Diskussion mit Siebenau folgten. Eine Dame aus der ersten Reihe, bereits etwas heiser, wollte wissen, woher Siebenau seine Ideen holte für seine Krimis. Linthdorf spitzte die Ohren. Die heisere Stimme kam ihm bekannt vor. Er schaute nach vorn, um zu erkennen, wer da fragte. Sein Gedächtnis hatte ihn nicht getäuscht. Es war eine alte Bekannte von ihm, Ina-Maria Seidelbast. Sie hatte ihn damals vor vier Jahren aufgefunden, als er im Treppenhaus zu seiner Wohnung lag und beinahe an einem Infarkt gestorben wäre. Er erinnerte sich noch genau, als ob es erst gestern gewesen war. Neben der schwarz gelockten Ina-Maria saß ein weiterer Bekannter, Dr. Anton Ingolf Scholetzki, der Leiter des Archivs der Preußischen Gesellschaft im Schloss Lindtstedt.
Komisch war das schon, dass so viele Bekannte den Weg auf den Telegraphenberg gefunden hatten. Linthdorf musste schon wieder den Kopf schütteln. Was war das doch für ein seltsamer Abend.Siebenau erklärte inzwischen, dass er stets mit beiden Ohren und Augen im Leben stand und seine Inspirationen dem Alltag abschauen würde. Irgendwann bekämen seine erdachten Figuren dann ein Eigenleben und er müsse ihnen nur noch folgen und aufschreiben, was sie so erlebten oder gar selber anstellten. Das wäre ganz einfach… Etwas ungläubig schaute Linthdorf zu Siebenau. Der war voll in seinem Element, hatte seine Weste aufgeknöpft und die etwas störrischen Haare nach hinten gestrichen, so dass er dem Idealbild eines schreibenden Zeitgenossen ziemlich nahe kam. Vielleicht sollte Linthdorf ja doch einmal einen Krimi des berühmten Siebenau lesen. Möglicherweise bekam er ja dadurch ein paar Inspirationen, die er auch für seine echten Fälle nutzen konnte. Eine andere Stimme erklang aus dem Off. Wie lange denn der Autor für so einen Krimi brauche? Linthdorf lauschte jetzt. Siebenau räusperte sich, trank einen Schluck Wasser und erzählte etwas von nächtlichen Stunden bei Mondschein, die er nutzte. Da er oft unter Schlaflosigkeit litt, bekämpfte er sie mit Schreiben. Wenn er dann zehn Seiten in den Computer getippt hatte, war er müde genug, um endlich seinen wohlverdienten Schlaf zu bekommen. Im Übrigen würden sich gerade die Nachtstunden für einen Krimi anbieten, da die Nacht immer ein besonderes Flair hatte, das inspirierend für die Texte sei. Speziell die etwas aktionsgeladenen Kapitel würden sich fast wie von selbst in der Nacht schreiben. Aber die Zeitdauer für die Entstehung eine Krimis wäre vollkommen verschieden. Manche hätte er in zwei bis drei Monaten geschafft, für manche habe er zwei bis drei Jahre gebraucht. Je nachdem, wie er sich in die jeweiligen Personen versetzen konnte und die feinen Vernetzungen zwischen ihnen aufspürte, um der Handlung so etwas wie Suspense zu verleihen. Letztendlich käme es doch genau auf diesen Aspekt an.
Milena war von Siebenau voll begeistert und lauschte dem Autor. Alwin und Jule hingegen schienen sich zu langweilen. Ob sie nicht Richtung Weihnachtsmarktbuden gehen dürften? Inzwischen hätten sie schon wieder ziemlich Hunger… Linthdorf steckte ihnen einen Zwanziger zu und zufrieden trollten sich die beiden. Milena musste lachen. Sie hatte die Aktion beobachtet. Linthdorf versuchte sich wieder auf Siebenau konzentrieren. Siebenaus Konterfei kam ihm seltsam bekannt vor. Er hatte eigentlich ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Ihm kam wieder sein mulmiges Gefühl in den Kopf, das er hatte, als er Thaddeus Achsnagel davonstürmen sah. Siebenau sah wie Achsnagels Zwillingsbruder aus. Nur dass Siebenau deutlich legerer gekleidet war. Achsnagel hingegen wirkte in seinem fernöstlichen Outfit wie ein exotischer, bunter Vogel. Eigentlich doch ein vollkommen anderer Typ. Auch der Große Thurold wies eine gewisse Ähnlichkeit zu Siebenau auf, nur war der in einem eleganten Zweireiher gekleidet und trug sein etwas schütteres Haupthaar streng gescheitelt, um einige kahle Stellen zu kaschieren. Inzwischen hatten sich die Lauscher erhoben und waren nach nebenan ins Foyer gewandert. Siebenau hatte zur Signierstunde gebeten. Milena war eine der ersten am Verkaufsstand, hatte sieben Bücher vor sich aufgestapelt und wartete geduldig darauf, von Siebenau eine Widmung in ihre neuerworbenen Schätze zu bekommen. Linthdorf schniefte. Er würde den schweren Bücherstapel sicherlich schleppen dürfen.