Barbara Steuten
Sie ließ schwarze Limousinen und giftige Chemikalien nach Asien verschiffen, studierte Wirtschaftsformeln und Algorithmen, schönte Statistiken und Protokolle und behauptet trotz aller krimineller Kompetenzen, erst 2014 auf die Idee gekommen zu sein, Kriminalromane zu schreiben.
Sie mischt mit beim Bundesverband junger Autoren und Autorinnen, obwohl sie nicht mehr jung ist, fördert Autorinnen bei den Mörderischen Schwestern, obwohl sie auch männliche Komplizen schätzt, und unterstützt das SYNDIKAT, obwohl sie so harmlos lächelt.
2011 gewinnt sie den Leverkusener Short-Story-Sonderpreis für ihre Kurzgeschichte „Idylle“.
2014 belegt sie den 2. Platz des Moerser Literaturpreises mit der Kurzgeschichte „Flugbahn“, und ihr Romanprojekt „Back-Wahn“ ist für den C.S.Lewis-Preis nominiert.
2016 erscheint ihr Krimi-Debüt „Kati Küppers und der gefallene Kaplan“ im edition oberkassel Verlag, Düsseldorf.
Es folgen 2018 „Kati Küppers und der entlaufene Filou“ und im März 2020 „Kati Küppers und der liegende Holländer“.
Bücher von Barbara Steuten
Leseproben & Dokumente
Kati Küppers und der entlaufene Filou
Die Hitze traf sie wie ein Schlag und machte das Atmen schwer. Wer konnte, hielt sich im Schatten auf oder drinnen. Dementsprechend leer war die Straße. Kati Küppers wusste beim besten Willen nicht mehr, wann es im Mai schon einmal eine solche Hitzewelle gegeben hatte.Auf dem kurzen Weg über die Straße lief ihr bereits der Schweiß aus den kurz geschnittenen Haaren und über den Rücken, obwohl es erst kurz nach neun war. Heute hätte sie besser auf ihre Vorliebe für schwarze Oberteile verzichtet, auch wenn sie sich so immer richtig gekleidet fühlte, egal ob eine Beerdigung oder eine Taufe anstand. Der peppige Schal, der ihr Outfit normalerweise abrundete, war nach Jos Äußerungen am Garderobenhaken hängen geblieben.
An Tagen, an denen das Quecksilber über die Dreißiger-Marke kletterte, liebte Kati ihren Arbeitsplatz besonders. Zwar war es auch in der Sakristei stickig und warm, aber im Innern der Kirche empfing sie eine angenehme Kühle, die die Härchen auf Armen und Beinen zum Aufstellen brachte. Die Augen brauchten etwas Zeit, bis sie sich von der gleißenden Helligkeit draußen auf das gedämpfte Licht drinnen eingestellt hatten und man sehen konnte, wohin man trat. Dabei hätte die Küsterin die Kirche im Stockfinstern durchqueren können, ohne irgendwo anzustoßen. Die Dorfkirche von Niederbroich war ihr bis in den letzten Winkel vertraut.
Sie schob die pinke Ponysträhne hinters rechte Ohr und ließ den Blick durch das Gotteshaus schweifen auf der Suche nach Arbeit, die den Aufenthalt im Kühlen notwendig machte. Ihr Augenmerk blieb am Marienaltar im Seitenschiff hängen, auf dem eine Reihe Blumentöpfe mit Begonien stand. Die Pflanzen waren weiß gesprenkelt und machten einen kümmerlichen Eindruck. Kati ahnte bereits die Ursache, bevor sie den Seitenaltar erreicht hatte. Bei den letzten Schritten spürte sie etwas Klebriges unter den Sandalen. Als sie die ersten Wollläuse entdeckte, verzog sie angewidert das Gesicht. Entschlossen griff sie nach dem ersten Topf und dem dazugehörigen Untersetzer und machte sich auf den Weg nach draußen. Dabei schmatzten ihre Schuhe auf dem Steinboden. Ihr war der letzte Blattlausbefall noch gut in Erinnerung. Weil sich das klebrige Zeug, das die Läuse absonderten, wunderbar verteilt hatte, hatte sie den kompletten Gang auf Knien geschrubbt. Zu Hause hätte sie den Boden mit ihrem Wunderputzmittel eingesprüht und mit einem Wisch die Spuren beseitigt. Doch der Kirchenboden aus Naturstein vertrug diese Art der Behandlung nicht. Schmierseife war hier das Mittel der Wahl – und zwar sowohl für den Fußboden als auch für die Pflanzen.
Vor der Kirche stellte Kati den Topf in den letzten schattigen Streifen, den das Gotteshaus warf, und eilte zurück in die angenehme Kühle. Wenige Minuten später duckten sich acht Begonientöpfe in den Schatten der Kirchenmauer. Kati betrat die Sakristei und suchte im hintersten Schrank nach der Schmierseife und einem Putzeimer.
„Tja, heiliger Magnus“, wandte sie sich an den Schutzheiligen gegen Ungeziefer, „du hättest mir die Arbeit schnell abgenommen. Ein Wink mit deinem Bischofsstab und schwups …“
Sie rührte die Schmierseife in das lauwarme Wasser, bis sie sich aufgelöst hatte, und kramte die Sprühflasche aus der Schrankecke. Dann befüllte sie die Flasche mit der Seifenlauge und verließ die Kirche. Während sie sorgfältig eine Pflanze nach der anderen einsprühte, summte sie vergnügt vor sich hin. Katis Bluse klebte am Rücken, und der Nacken hatte bereits ordentlich Sonne abbekommen. Sie besprühte gerade die vierte Begonie, als die Sprühflasche ihre letzten Tröpfchen spuckte. Ein guter Zeitpunkt, sie aufzufüllen und aus der Sonne zu kommen. Selbst die stickige Sakristei empfand sie jetzt als angenehm kühl. Als sie kurz darauf wieder in die Hitze trat, entdeckte sie den kleinen Hund. Er schleckte das Seifenwasser auf, das sich im Topfuntersetzer gesammelt hatte und wich ein Stück zurück, als Kati auf ihn zutrat. Sein weißes kurzes Fell war staubig, die schwarzen Flecken auf dem Rücken struppig. Er war wohl schon einige Zeit allein unterwegs. Das helle Braun um die wachen, dunklen Augen herum ging zwischen den Ohren in Schwarz über, in dem erste graue Härchen schimmerten. Der Jüngste war er wohl nicht mehr.
„Ach, du Armer. Bist du so verdurstet, dass du die olle Seifenlauge säufst?“
Auch wenn Kati sich mit Hunden nicht auskannte, war ihr klar, dass der kleine Kerl ihre Hilfe brauchte. „Ich hol dir frisches Wasser.“
Der Hund beobachtete jede ihrer Bewegung und blieb auf Distanz.
Kati konnte ihm nicht einfach einen der Topfuntersetzer vor die Schnauze stellen. Selbst wenn sich keine Wollläuse darauf tummelten, hatten sie zumindest ihre klebrigen Rückstände hinterlassen. Sie musste einen sauberen Untersetzer holen, und die standen im Kirchenkeller.
„Bleib von dem Seifenwasser weg. Du kriegst Bauchweh“, ermahnte sie den kleinen Vierbeiner. Dann eilte sie zurück in die Kirche. Als sie die Tür zum Kirchenkeller öffnete, stand ihr plötzlich das Bild von Kaplan Overath vor Augen. Gekrümmt hatte er am Ende der Treppe gelegen. Vergiftet, wie sich bald herausgestellt hatte. Und prompt hatte sie selbst unter Mordverdacht gestanden. Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse zu verscheuchen, die noch nicht einmal verjährt waren, und stieg mit Bedacht die Stufen der steilen Treppe hinunter.
Die wenigen Minuten, die sie gebraucht hatte, um den Untersetzer zu holen und mit frischem Wasser zu füllen, hatte der Hund genutzt, sich wieder über die Seifenlauge herzumachen.
„Du dummes Tier“, tadelte Kati ihn. „Komm her, das hier ist viel besser.“ Sie schob die Blumentöpfe ein Stück zur Seite, damit sich der Hund in den Schatten hocken konnte, und stellte ihm den Topfuntersetzer mit frischem Wasser vor die Nase. „Trink ruhig weiter, während ich hier die letzten Läuse vertreibe.“
Ein paar Minuten später stellte Kati die Begonien Topf für Topf an den Fuß des Marienaltars zurück und achtete jedes Mal penibel darauf, dass der Hund ihr nicht in die Kirche folgte. Nachdem sie die Utensilien weggeräumt hatte, schloss sie hinter sich die Tür zur Kirche ab.
Sofort war der Hund an ihrer Seite. Sie blieb stehen. Der Hund tat es ihr gleich. Katis Blick suchte die Straße in beide Richtungen nach Autos oder Radfahrern ab, doch heute Morgen war Niederbroich wie ausgestorben. Als sie die Fahrbahn überquerte, setzte sich auch der Hund wieder in Bewegung und schloss schnell zu ihr auf.
„Was willst du? Hast du kein Zuhause? Geh.“
Doch der Hund schaute sie nur mit schiefgelegtem Kopf an und blieb an ihrer Seite.
Noch bevor Kati den Schlüssel ins Schloss stecken konnte, öffnete sich die Tür, und ein hochaufgeschossener junger Mann trat heraus. Als er die Küsterin sah, lächelte er und hielt ihr die Tür auf.
„Guten Morgen Frau Küppers. Oh.“ Sein Blick fiel auf den Hund. „Sie werden verfolgt.“
„Gut erkannt, Herr Rommerskirchen“, entgegnete Kati. „Sie könnten doch bestimmt den Hund freundlicher-“
„Stopp! Stopp! Stopp!“ Der junge Mann hob abwehrend die Hände. „Sie wissen doch, was man macht, wenn man etwas verliert? Das sollten Sie auch tun, wenn Sie etwas finden oder Ihnen etwas zuläuft.“
„Zum heiligen Antonius beten?“ Kati zuckte die Schultern. „Bei zugelaufenen Tieren hätte ich jetzt eher Franz von Assisi bemüht.“
Rommerskirchen lachte. „Frau Küppers, Sie sind wunderbar! Ich sprach vom Fundbüro. Dort sollten Sie sich melden. Die sind nämlich für alles zuständig, was abhandenkommen kann.“
„Wirklich?“ Kati betrachtete den kleinen Vierbeiner, der ihr Gespräch interessiert zu verfolgen schien. „Das ist ein Hund. Und kein vergessener Regenschirm.“
„Für die Zuständigkeit ist das unerheblich“, erwiderte Rommerskirchen. „Sie können das Vieh auch im Tierheim abgeben. Dann machen die Meldung ans Fundbüro.“
Die abfällige Art, mit der der Nachbar über den anhänglichen kleinen Kerl neben ihr sprach, ärgerte Kati. War ihr das Tier eben noch lästig, so hatte es jetzt in Kati eine entschlossene Verbündete gefunden.
Rommerskirchen trat einen Schritt zur Seite und musterte den Terrier, danach Kati. Schließlich reckte er den Kopf, als ob er durchs Treppenhaus bis zu seiner Wohnung im Dachgeschoss schauen wollte. Dann beugte er sich zu Kati vor und raunte: „Hauptsache Sie lassen den Köter verschwinden, bevor Rike ihn entdeckt.“
Auf Katis Stirn bildete sich eine steile Falte, doch ehe sie etwas erwidern konnte, legte Rommerskirchen nach:
„Laut Mietvertrag sind Haustiere untersagt. Das habe ich drei Mal nachgeprüft, bevor ich unterschrieben habe.“
Kati hob die Augenbrauen. So hatte sie Philip Rommerskirchen bisher nicht gekannt. Seinem beherzten Eingreifen verdankte sie ihr Leben, und jetzt fürchtete sich der Kriminalkommissar vor einem kleinen Hund? Natürlich kannte man sich nicht gut, nur weil man seit einem halben Jahr im gleichen Haus wohnte. Wenn das schöne Wetter anhielt, könnte Jo den Grill anschmeißen. Bei einem kühlen Bier erfuhren sie dann vielleicht die Hintergründe der Hundephobie. Oder mochte seine Freundin keine Tiere?
Kati zog die Mundwinkel nach unten. „Er ist mir an der Kirche zugelaufen und war halb verdurstet. Jetzt weicht er nicht mehr von meiner Seite. Aber ich hab’s kapiert. Ich werde mit dem Tier nicht zu Ihnen auf die Polizeiwache kommen.“
Die Einladung zum Grillen musste sie sich noch einmal durch den Kopf gehen lassen.